Samstag, 13. Januar 2007

Lisas Kleiderstange

Ich bin nur eine Kleiderstange in einem doppeltürigen Kleiderschrank. Kann weder gehen noch reden, auch diese Zeilen habe ich schreiben lassen. Aber ich kann so manches sehen, erkennen und mir meine Gedanken darüber machen. Und diese Gedanken muss ich heute einfach einmal loswerden.
Lisa also ist die Chefin des Kleiderschrankes, in dem ich so manches Jahr brav und ohne Murren meinen Dienst versehen habe. Anfangs war mein Amt natürlich leicht. Die paar Röcke, Blusen und Kleider konnte ich mühelos tragen. Das Herausnehmen und Hineinhängen der Sachen, hinzufügen von neuen Teilen war alles völlig in Ordnung. Manche Kleidungsstücke hatten eben öfter Ausgang als andere, die mitunter monatelang bei mir herumhingen ehe sie einmal ausgeführt wurden.
Auch um Lisa machte ich mir keinerlei Gedanken. Oft hörte ich sie lachen, sich kurz mit ihrem Mann unterhalten oder zielstrebig im Zimmer herumräumen. Vom Blauen Kostüm, dem mit den aufgesetzten Taschen, wusste ich, dass Lisa in gehobener Stellung sehr engagiert berufstätig war und im Schichtdienst arbeitete. Ihr Mann ist Abteilungsleiter und in seiner Firma ebenfalls höchst unentbehrlich. Ich glaube Kinder haben sie nicht. Jedenfalls habe ich noch keines gehört oder gar gesehen. Ich kann mich auch nicht erinnern, je ein Sommerkleidchen oder ein Mäntelchen getragen zu haben. Sowieso ist das Zimmer in dem ich mitsamt dem Kleiderschrank installiert bin, fast immer leer und verlassen.
So vergingen Jahre, und unmerklich änderten sich mein Job und auch meine Umgebung. Lisas Lachen wurde seltener, ihre Stimme klang kühl, manchmal tonlos oder gereizt. Ich bekam immer mehr zu tun. Manchmal ging die Tür auf und es wurden mir vier oder fünf neue Teile auf einmal, alle mit einem Preisschild bei dessen Zahl ich grosse Augen bekam, übergeben. Die schon vorhandenen Kleider wurden einfach zusammengeschoben. Suchte Lisa dann morgens nach geeigneter Kleidung, nahm sie aber doch achtlos die selben schon oft getragenen Sachen. Griff sie sich machmal die grosse Shoppingtasche, die gewöhnlich unter mir auf den Boden des Schrankes lag, dann war uns Schrankinsassen klar, Lisa hat ihren freien Tag. Ich kam dann schon vorsorglich ins Schwitzen, weil mir klar war, dass ich in ein paar Stunden noch mehr würde aufgebürdet bekommen. Und genau so kam es, mehr und mehr wurde ich überhäuft, auf manchem Bügel hingen drei Blusen gleichzeitig. Am meisten aber wurmte mich, dass die neuen Sachen überhaupt nie Ausgang hatten. Sie hingen mir auf der Pelle und machten mir das Leben im wahrsten Sinne des Wortes schwer. Hinzukam, dass die neuen Fummel äusserst vornehm taten und sich mit uns Alteingesessenen des Kleiderschrankes nicht gemein machen wollten. Irgendwann schmerzte mein Rücken dermassen und schäumte ich vor Wut so sehr, dass ich mit letzter Kraft und unter lautem Getöse meine Verankerung aus der Wand des Schrankes riss und meine Last abwarf. Lisa hatte Glück, dass nur ihr Mann und nicht ich mit ihr schimpfen konnte, wahrscheinlich wären ihr sonst die Ohren abgefallen. Unter mir lag ein Berg von Kleidungsstücken im schönsten Chaos.
Nun wo ich meine Bürde los und mein Groll verraucht war, fing ich wieder an, etwas klarer zu denken. Was war blos mit Lisa los? Und wann hat es angefangen?
Plötzlich fiel mir ein Spruch ein, den ich irgendwann einmal gehört habe: “Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele...“ – Schaden an seiner Seele nehmen...-Ja, ich glaube Lisas Seele fehlt etwas. Etwas, das sie in immer mehr, immer ausgefalleneren und teureren Kleidern zu kaufen sucht. Vielleicht ist es innere Zufriedenheit, eine heitere Gelassenheit und stille Freude an den kleinen Dingen des Lebens. Womöglich sucht sie die geheimnisvolle Fröhlichkeit, die man bei Menschen erleben kann, die einen festen Glauben an Gott haben.
Nur wird sie diese Art Lebensfreude weder in einem Kleid von Dior noch in einem Hosenanzug von Gucci finden. Ob ich ihr das einmal verrate?

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hey, ist die Geschichte von dir? Toll. Wusste gar nicht, dass du so schreiben kannst!

Anonym hat gesagt…

ebenfalls hey, wer ist p.k.?